Handwerk und Tradition seit fast 120 Jahren
Der älteste Backbetrieb Laatzens
Die Geschichte der Ingelner Bäckerfamilie Bertram begann vor vielen Jahren im Nachbardorf Oesselse. Seither haben fünf Generationen der Familie die Dorfgemeinschaft begleitet.
Hermann und Dorothee Bertram (1870-1920)
Es beginnt in Oesselse
Die Geschichte der Ingelner Bäckerfamilie Bertram begann im Nachbardorf Oesselse. Dort betrieben Johann Heinrich Bertram, genannt Hermann Bertram (*1842 +1929), und seine Ehefrau Dorothee von 1870 bis 1920 am Thie eine Bäckerei in einem gepachteten Haus. Hermann war in Osterode am Harz als Sohn des Bäckers und Gastwirts Friedrich Wilhelm Bertram (*1804 +1874) aufgewachsen. Hermann und Dorothee hatten gemeinsam 10 Kinder, von denen allerdings nur fünf das Erwachsenenalter erreichten. Sie verkauften ihr Brot (hauptsächlich Roggenbrot) in ihrem Laden und auf den umliegenden Wochenmärkten, zu denen Hermann per Pferdekutsche fuhr.
Alle vier Söhne stiegen in die Fußstapfen des Vaters und wurden Bäcker: Heinrich (*1876) zog nach Wehmingen, Hermann (*1879) nach Bolzum, der jüngste Bruder Adolf (*1885) führte die Bäckerei in Oesselse weiter. Sein Wahlspruch lautete: „Bertram-Brot macht Wangen rot, auch wenn die letzte Speiche bricht, Adolf Bertram vergisst euch nicht!“
Bäckeralltag im 19. Jahrhundert
In den Bauernfamilien auf dem Land wurde das Brot meist auf dem Hof gebacken. Wer es sich leisten konnte oder viele Esser zu versorgen hatte, nahm die Dienste des Dorfbäckers in Anspruch: Die Bauern lieferten ihr Getreide, zumeist Roggen, an die Mühle. Das dort gemahlene Mehl wurde direkt an den Bäcker geliefert, der daraus gegen Entgelt Brot buk. Natürlich buk der Bäcker auch in eigener Sache. Diese Brote verkaufte er dann mehrmals pro Woche per Pferdewagen auf den Märkten in der Umgebung. Die Oesselser und Ingelner Bäcker hatten Kunden bis in die Innenstadt Hannovers.
Das Holz, das zum Beheizen des Ofens gebraucht wurde, stammte aus dem Bokumer Holz. Es wurde im Wald in ca. 1 Meter lange Stücke zersägt und in der Bäckerei gelagert. Vor dem Backen musste das Holz gespalten und die Öfen zur gewünschten Hitze befeuert werden. Zu den Aufgaben des Bäckers gehörte also weit mehr als nur das Brotbacken!
Wenn das Brotbacken vorüber war, wurde in den noch warmen Öfen Kuchen, den die Hausfrauen fertig auf Blechen anlieferten, mit der Restwärme abgebacken.
Max und Anna Bertram (1906-1931)
Hermanns Erstgeborener Heinrich Carl Max Bertram (*1869) ist der Stammvater der Bäckerei Bertram in Ingeln. Max Bertram und Anna zogen nach der Hochzeit 1906 nach Ingeln in unser jetziges Haus. In dem Gebäude „Ingeln 54“ (heute Auf der Maine 11) hatte zuvor Annas Vater einen Kolonialwarenladen mit Schuhmacherei betrieben. Nun richtete Max hier die erste Ingelner Backstube ein.
Die Entwicklung des Dampfbackofens
Der Dampfbackofen war Ende des 19. Jahrhunderts die Revolution im Ofenbau: Heizraum und Backraum waren getrennt voneinander, so dass ein kontinuierliches Backen möglich war.
Zuvor hatten die Backöfen nur aus einem einzigen Heiz- und Backraum bestanden. Zunächst wurde ein Holzfeuer entfacht und brennen lassen. Dann wurden die Glutreste ausgeräumt und das Backgut eingeschoben. Die Backhitze entstand also durch die in den Ofenmauern gespeicherte Wärme. Anders im Dampfbackofen: Dort wurde das Wasser in geschlossenen Rohren im Heizraum zu Dampf erhitzt. Diese wasser- bzw. dampfgefüllten Rohre ragten in den Backraum hinein und erzeugen hier die Backhitze. Neben dem Vorteil, dass man ohne Pausen und Temperaturabfall größere Mengen backen konnte, war es beim Dampfbackofen auch möglich, andere Brennstoffe als Holz einzusetzen, weil die Abgase des Heizmaterials nicht mit dem Backgut in Verbindung kamen.
Heinrich I. und Alma Bertram (1931-1961)
Nach dem Tod von Max Bertram 1932 übernahmen sein 25-jähriger Sohn Conrad Hermann Heinrich Bertram und dessen Ehefrau Alma den Betrieb. Es war ein kleiner Familienbetrieb, in dem 12-Stunden-Tage keine Seltenheit waren. Denn Heinrich und Alma betrieben neben der Backstube auch den Kolonialwarenhandel in ihrem Haus und verkauften „exotische“ Artikel wie Kaffee, Tee, Reis, Bananen, Zucker, Tabak, Kakao und Schokolade. Dazu der Backbetrieb: An einem Tag wurde gebacken, am nächsten Tag ausgeliefert. Zu Beginn des Krieges 1939 wurde Heinrich vom Wehrersatzamt zurückgestellt, damit die Bevölkerung weiterhin mit den notwendigen Lebensmitteln versorgt werden konnte. Als Heinrich Bertram 1941 doch nach Ahrbergen einrücken musste, lagen Arbeit und Verantwortung ganz bei seiner Frau Alma.
Alma fuhr mit Pferd und Wagen bis nach Hannover und Hildesheim, um dort Waren abzuholen und Brot zu liefern, damit der Backbetrieb und Lebensmittelhandel weiterlaufen konnte. Bis zu seinem Fronteinsatz kam Heinrich jedoch täglich – häufig zu Fuß – von der 10 Kilometer entfernten Ahrberger Munitionsanstalt zum Helfen. 1945 kehrte er nach Ingeln zurück.
Entwicklung in der Nachkriegszeit
Nach dem Krieg stieg die Einwohnerzahl Ingelns rasant von zuvor 350 auf 800 an. 1946 ließ Heinrich einen zweiten Dampfbackofen einbauen, um dem Bedarf besser gerecht zu werden. Er vergrößerte mehrmals den Laden, immer mehr Zimmer des Wohnhauses wurden geopfert. 1952 wurde in Oesselse an der Bergstraße eine 65 qm große Selbstbedienungs-Filiale eingerichtet, ebenfalls mit zusätzlichem Warenangebot.
Heinrich und Alma Bertram hatten zwei Söhne, Heinrich II. (*1932) und Günther (*1935). Günther Bertram lernte in der hannoverschen Holländischen Kakaostube das Konditorenhandwerk und schloss eine Bäckerlehre an. Günther eröffnete 1959 in Hannover-Linden eine eigene Konditorei, 1970 zog seine Konditorei an den renommierten Bemeroder Rathausplatz.
Heinrich II. und Erna Bertram (1961-1989)
Der 29-jährige Erstgeborene Heinrich Bertram II. übernahm mit seiner Ehefrau Erna 1961 den Geschäftsbetrieb. Doch die Zeiten, als man sein Brot beim Bäcker und sein Fleisch beim Dorfmetzger kaufte, waren vorbei: Die ersten Supermärkte wurden gegründet. Der Kolonialwarenladen mit seinem kleinen Warenangebot warf nicht mehr genug ab, es musste erweitert werden.
Also renovierten Heinrich und Erna Bertram den Laden in Oesselse und erweiterten das Sortiment. Das Hauptgeschäft in Ingeln war bereits mehrfach umgebaut worden, doch egal was man machte, es gab im Haupthaus zu wenig Platz. Und so eröffneten Heinrich und Erna Bertram 1972 am Holztor in Ingeln auf 200 qm den „Bertram VIVO Markt“, einen Supermarkt „mit allem, was die Hausfrau wünscht“: Backwaren, aber auch Frischfleisch und Wurstwaren wurden in dem klimatisierten Laden angeboten, der bis 1988 Ingeln und die umliegenden Gemeinden versorgte. Er galt bei Eröffnung als der „modernste Supermarkt des Nordkreises“.
Heinrich III. und Christine Bertram (1989-2022)
Heinrich und Christine Bertram haben zwei Söhne, Simon und Bastian. Auch Bastian erlernt das Bäckerhandwerk. Beide Söhne standen den Eltern für mehr als 12 Jahre zur Seite.
Als Heinrich und Christine Bertram sich endlich auf den wohlverdienten Ruhestand freuen können, endet jedoch die lange Reihe der Ingelner Traditionsbäcker. Denn leider konnte die Ingelner Backstube aufgrund der behördlichen Auflagen nicht in die Hände der nächsten Generation übergehen. Das Ende der Ära Bertram schien erreicht. Das Filialnetz der Familie Bertram wurde verkauft.
1989 ging die Bäckerei an Heinrich Bertram III. über, der gemeinsam mit Ehefrau Christine und den beiden Söhnen Bastian (*1985) und Simon (*1987) den Betrieb seines Großvaters Max weiterführte.
Heinrich III. gewann in seiner Berufszeit zahlreiche Preise für seine Brote und Backwaren. Sein Gersterbrot erlangte mehrfach Gold im Vergleichstest der Innungsbäcker. Inzwischen waren 25 Angestellte im Betrieb, Heinrich betrieb neben der Backstube in Ingeln sechs Filialen im Hannover-Hildesheimischen Gebiet. Heinrich engagierte sich auch in der Innung und wird 1993 zum stellvertretenden Innungsobermeister gewählt. Heinrich und Christine eröffneten in Sarstedt das „Kaffee Klatsch“, ein Café mit Speisenangebot, das jedoch später wieder verkauft wurde. Es folgten neue Filialen in Sarstedt und Ahrbergen.
2009 übernehmen Christine und Heinrich die ehemalige Edeka-Filiale in Oesselse und bauen diese zu einem Bäckerei-Café aus, das sich schnell zum neuen Dorftreffpunkt entwickelt.
Und es geht weiter!
Schnell war klar, dass das reine Rentnerdasein Heinrich und Christine nicht ausreicht. Kein Wunder, wenn man sein Leben lang rund um die Uhr gearbeitet hat!
Nun kann sich Bäckermeister Heinrich mit Muße um seine Lieblingslebensmittel, das Brot, kümmern. Denn gutes Brot braucht Muße! Und die bringt das Rentnerleben so mit sich.